Donnerstag, 2. Juli 2009

Schmach mit der Oma

Tag drei. Schon beim Aufstehen tut alles weh. Der Sonnebrand zieht auf der Haut, die Oberschenkel schreien förmlich bei jedem Tritt. Nur noch einmal quälen. 30 Kilometer den Berg hinauf, den Croix de Fer. Mein Fahrrad kommt nach Hause.

Gleich hinter dem Hotel weist das Schild nach rechts. Eine breite Straße zieht sich schnurgerade den Berg hinauf. Mit durchschnittlich über acht Prozent Steigung. Die Sonne brennt noch unbarmherziger als am Tag zuvor. Schon nach zehn Minuten tropft mir der Schweiß aus dem Nacken und fällt kühlend auf meine Unterarme. Die Hitze ist unerträglich. Nach drei Kilometern ist die halbe Trinkflasche leer. Und meine Beine auch. Ich habe das Telefon in der Hand. Nur ein paar Ziffern muss der Daumen drücken, dann bin ich erlöst. Doch der Daumen will nicht.

Nach vier Kilometern zeigt der Berg sich gnädig. Bäume spenden Schatten, es geht rauschend bergab. Der Fahrtwind streicht über den nassen Rücken. Doch die Freude währt nur kurz. Eine Brücke, eine scharfe Linkskurve und wieder zehn Prozent. Die Sonne hat freie Schussbahn. Ich erblicke einen Leidensgenossen vor mir. Tief über den Lenker gebeugt, tritt er in die Pedale. Er fährt zick-zack. Den kauf ich mir. Wenigstens einer soll heute schlechter sein. Ich trete rein. 10, 10,5, 11, 11,5. Die virtuelle Tachonadel richtet sich gen Norden.

Nach zwei Kilometern bin ich dran, fahre vorbei und will am liebsten vor Scham umkehren. Der Zick-Zack-Fahrer ist eine Frau. So um die 60. Eine Oma. Meine letzte Kraft dahin, die letzte Trinkflasche geleert, die Reserve-Cola auf ex gekippt. Und alles für die Oma. Ich radle vorbei. Geschockt. Gedankenlos.

Es geht eben bis leicht steigend durch das Tal. Endlich eine Wasserstelle. Ich halte an, fülle die Trinkflaschen an einem Trog. Die Oma schießt vorbei. Ich trete widerwillig weiter. Nur noch zehn Kilometer. Im Ort vor dem letzten Steilstück steht die Oma. Füllt die Bidons an einer Quelle. Ich halte an. Meine Flaschen sind wieder leer. Wir kommen ins Gespräch. Sie auf französisch, ich auf englisch. Mit Händen und Füßen folgt der Rest. Wir reden zu 90 Prozent aneinander vorbei. Ich wünsche ihr noch viel Glück und fahre los. Will schließlich vor ihr oben sein.

Die Steigung im Ort ist brutal. Durchgehend zweistellig zieht sich der Weg Richtung Pass. Zwei Kilometer vor dem Col ist es aus. Minutenlang hänge ich über dem Lenker, zwinge mit tiefen Atemzügen die Luft in die geplagten Lungen. Eine Frau, um die 50, zieht mit lockerem Tritt an mir vorbei. Sie ruft noch: "Allez courage!" Das habe ich gebraucht. Langsam aber mit lockerem Tritt geht es zum Eisernen Kreuz. Der Pass ist unscheinbar, liegt nach einer Rechtskurve zwischen zwei Felswänden plötzlich vor einem. Ein schnelles Foto und dann hinunter. Wahsinnsabfahrt. Wunderschön. Mit Blick auf den Mont Blanc. Tausendprozentig.

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