Dienstag, 23. Juni 2009

Auf dem Dach

Abgase und der Geruch der frisch geteerten Straße kriechen in die Nase. Widerlich. Über fast zwölf Kilometer begleitet einen der Gestank, die Sonne brennt unbarmherzig vom knallblauen Himmel. Der Col du Telegraphe ist einfach nur im Weg. Und zwar in jeder Hinsicht. Im Weg, wenn man zum berühmten Col du Galibier fährt, im Weg, wenn man vom Galibier kommt. Im Weg, wenn man ins schmucke Skiörtchen Valloire will. Im Weg vor allem dann, wenn man am Tag zuvor auf dem Mont Ventoux war.

Der Telegraphe ist keine wirkliche Herausforderung, was natürlich noch mehr nervt. Auf den ersten drei Kilometern führt er noch recht steil aus St. Michel de Maurienne hinaus. Danach kann er sich nicht entscheiden. Mal ist es mehr und mal weniger steil. Mal ist es sogar topfeben. Man kann ihn gut durchfahren, wenn man zum Beispiel Wadenprobleme hat. Das ist aber auch schon alles.

Von Valloire aus sind es noch 17 Kilometer bis zum Galibier. Auf den ersten neun, relativ flachen und sogar mit einer kleinen Abfahrt versehenen Kilometern bekam ich die Quittung für mangelnde Ernährung. Arme und Beine zitterten. Ich war alle. Schnell eine Banane hintergewürgt, dazu ein Energiegel und einen halben Riegel. Die Vorräte waren damit aufgebraucht. Die Straße zieht sich entlang eines Flußes bis zum Ende des Tals. Die Steigung ist moderat. Vielleicht zwischen fünf und sieben Prozent.
Auf den letzten acht Kilometern schlägt der Berg zurück. Eine 180-Grad-Kurve nach rechts und der Spaß ist vorbei. Die Oberschenkel brennen. Jeden Kilometer eine Pause, so könnte es klappen. Und es klappt. Etwa sechs Kilometer vor dem Ziel sieht man den Pass. Die letzten Kehren schlängeln sich durch den Schnee und lassen nichts Gutes erahnen. Fünf von fünf roten Sternen kriegt er bei Quäldich, und die Jungs spaßen echt nicht. Bis zu 22 Prozent zeigt der Fahrradcomputer an. Die letzten Kräfte werden beim Fotografen verschwendet. Soll ja gut aussehen. Noch eine Pause und dann noch ein paar hundert Meter. Oben! 2645 Meter über dem Meer. Was ein Blick.

Dienstag, 16. Juni 2009

Patron am Riesen

Der Mont Ventoux und ich waren bisher nicht die besten Freunde. Ich mochte ihn nicht wegen seiner steilen Rampen, er ließ mich seine Antipathie mit der stets vorherrschenden Gluthitze spüren. Doch dieses Jahr sind wir uns näher gekommen. Dass heißt zum größten Teil ist er eingeknickt und hat seine bockige Position verlassen.

Der Riese der Provence hat natürlich wieder alles versucht. Die Hitze flimmerte im Tal bereits über dem Asphalt. Reckte man den Kopf nach links, erhob sich in schier unerreichbarer Ferne der Turm auf dem Gipfel. Schon seit zwei Tagen kreisten meine Gedanken um die erste Kurve. Eine Drehung um 180 Grad nach rechts, gezäumt von einer gewaltigen Leitplanke. Erreicht man den Scheitelpunkt der Kurve, sieht man, was einen die nächsten acht Kilometer erwartet. Erst am Chalet Reynard gönnt der Berg einem eine Pause.
Vor fünf Jahren war die erste Kurve bereits der Anfang vom Ende. Nach wenigen Metern stieg ich ab und leerte eine halbe Trinkflasche. Alles in dem naiven Glauben, unterwegs genügend Wasser zu bekommen und zudem in der Hoffnung, dass nach der nächsten Kurve die Steigung nachlässt. Nichts traf zu. Merde.


Doch fünf lange Rennrad-Jahre später verlor der Ventoux seinen Mythos. Nicht schnell, aber mit lockeren Tritt meisterte ich die ersten steilen Kilometer. Stets etwas ungläubig, rechnete ich jeden Moment mit einem Einbruch. Doch es gab keinen. Mit 25 Sachen schoss ich quasi die letzten Meter auf das Chalet zu. Selbst die defekte Wasserpumpe war mir egal.
Am Chalet wurde es sogar kalt. Der Wind pfiff in Böen über den Kahlen Berg und strich über den nassen Rücken, dass es einen schüttelte. Das kostete zwar Nerven, aber das taten Markus‘ Groupies auch. Eine Gruppe End-Sechziger bestaunte seinen Rahmen. Mittlerweile dürfte der Gute in etwa acht Sprachen wissen, was „schöner Rahmen“ heißt. In mir wächst so langsam der Neid.

Auch die gefürchteten letzten sechs Kilometer liefen entspannt wie nie erträumt. Auf den langen Geraden in Richtung Turm schickte der Ventoux eine Böe nach der anderen hinunter. Doch der Tritt blieb locker. Und die Zieleinfahrt war wie bestellt. Die Dauphine Libere machte am gleichen Tag Station. Die letzten Meter waren mit Gittern abgesperrt, die Masse tobte „Allez courage, allez courage“. Ein Blick zurück, niemand war am Hinterrrad. Ich war der verdammte Patron. Zumindest für diesen einen Tag.

Trois Jours, Trois Cols

Tag 1 - Mont Ventoux, Col de la Madeleine - 1703 Hm

Tag 2 - Col du Telegraphe, Col du Galibier - 2302 Hm

Tag 3 - Col de la Croix de Fer, Col du Glandon - 1665 Hm

Mittwoch, 3. Juni 2009